Jung, ledig, vom Land

Original: http://www.focus.de/politik/deutschland/sekten-jung-ledig-vom-land_aid_184516.html

Montag 18.09.2000, 00:00 · von FOCUS-Redakteurin Susanne Wittlich

Eine Studie untersucht, wer für Seelenfänger der verschiedenen Kulte eine leichte Beute istMit neun Jahren faszinierte ihn die Hochzeit von Kanaa. Das Mystische begeisterte ihn. Bibelstudium als Kind, Yoga als Jugendlicher. Mit 22 Jahren durchlebte Jens Sethi eine Krise. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, er studierte lustlos Elektrotechnik, und es beschäftigten ihn Fragen, die er mit seinen wenigen Freunden nicht diskutieren konnte. Zum Beispiel: „Ist der Tod zu besiegen?“ Zufällig las der Student über den indischen Guru Sathya Sai Baba und fand seine Religion.

Der Münchner schmiss die Uni und arbeitete in einer Druckerei, um sich seine Trips zum Ashram in Puttaparthi zu finanzieren. Zehn Jahre lang betete der heute 36-Jährige seinen neuen Heilsbringer an.

Ein typischer Sektenjünger? In einer kürzlich veröffentlichten Studie überprüft der Psychologe Dieter Rohmann, ob bestimmte Menschen für Sekten-lehren besonders empfänglich sind.* Mit einer Basis von 110 Befragten ist dies die umfangreichste Untersuchung, die bislang zu diesem Thema vorliegt.

Die Ergebnisse: Kult-Einsteiger sind meist zwischen 21 und 25 Jahre alt, ledig und auf dem Land oder in einer Kleinstadt aufgewachsen. Sie stammen aus der Mittelschicht, haben ein oder zwei Geschwister, absolvierten eine höhere Schule, die Eltern sind verheiratet.

„Es sind eben nicht die psychisch Gestörten, Labilen, Naiven aus Scheidungsfamilien“, resümiert der Wissenschaftler. Gemeinsamer Nenner aller Konvertiten: Unmittelbar vor Sekteneintritt mussten sie mit „drei bis vier belastenden Erfahrungen“ fertig werden – Auseinandersetzungen im Elternhaus, Trennung vom Partner, schulische oder berufliche Probleme, Krankheit, Unfall. „Ein enormer Druck“, analysiert Rohmann. „Der Übertritt verspricht Erleichterung.“

Fazit des Kult-Therapeuten: „In der entsprechend schwierigen Situation könnte jeder hineinschlittern.“

Den ersten Schritt zum Ausstieg kennt der Fachmann auch: das „Ist-Soll-Dilemma“. Der Jünger erlebt, dass seine Idole anders handeln als reden.

Jens Sethis heile Guru-Welt brach zusammen, als Gott Sathya Sai Baba ihn bei einem persönlichen Gespräch sexuell belästigte.

Sekten und ihre Anhänger

In Deutschland sind 800 000 Menschen in Sekten oder Psychogruppen.

Weitere 1,2 Mio. besuchen Kurse solcher Vereinigungen