"Einem Gott darf ich nichts ausschlagen"
Zum Streit um die Göttlichkeit von Sathya Sai Baba
Original: http://www.relinfo.ch/sai/streit.html
Kein indischer Meister der Gegenwart hat soviel Hoffnungen und Erwartungen in so grossen Menschenmassen geweckt wie Sai Baba. Mit seinen "Wundern" (Materialisationen), täglich vor Tausenden von Anhängern inszeniert, bindet er in der Psyche der gläubigen Massen so viel spirituelle Energien und Selbstheilungskräfte los, dass in seinem Umfeld immer wieder eindrückliche Glaubenserfahrungen möglich werden. Sai Baba ist für Zehntausende die massgebliche göttliche Inkarnation unserer Zeit.
Wahrscheinlich hat aber auch kaum ein anderer Meister der Gegenwart so viele, die ihm nahe kamen, so abgrundtief enttäuscht. Diese Enttäuschten melden sich heute immer öfter zu Wort, zum Beispiel in der von Faye und David Bailey zusammengestellten Dokumentation "The Findings", London o. J. Das Ehepaar Bailey verherrlichte früher in seinen Büchern Sai Baba. Nach traumatischen Erfahrungen und vielen Gesprächen mit Menschen, die Aehnliches durchlitten haben, sammeln sie nun Berichte und Beobachtungen von Enttäuschten. Ihre Berichte werden zu erschütternden Dokumenten einer Erfahrung, die vielleicht nur die Menschen nachempfinden können, die an anderer Stelle auch schon "Gott" gefunden hatten - um nach vielen Opfern und einem Leben in kritikloser Hingabe erkennen zu müssen, dass sie betrogen wurden.
Die Liebe zu Sai Baba zerbrach bei den meisten Aussteigern zuerst an der Beobachtung, dass Sai Baba seine "Wunder" ziemlich unprofessionell trickst. Aus der Distanz ist der Trick - wie ich selber auch feststellen konnte - nicht zu erkennen. Die Scharen der Gläubigen staunen über jede sog. Materialisation und quittieren alle soeben aus nichts entstandene Asche mit Applaus. Manche, die ihm nahekamen, sahen, wie ihm eine Aschenpille aus der Hand fiel, aus jenem Material also bestehend, die der lebendige Gott nachher in seiner rechten Hand angeblich aus nichts erschafft. Die später "materialisierste"Asche trägt er offenbar zuerst in Pillenform in seiner linken Hand. Oder sie beobachten, wie der Meister die später "materlialisierten" Objekte vor der "Materialisation" aus seiner linken, ein wenig geschlossenen Hand in die rechte verschiebt. Schwerer als diese Tricks wiegen für gläubige Jünger aber Berichte anderer oder eigene Erfahrungen aus dem persönlichem Zusammensein mit Sai Baba, zu dem junge männliche Anhänger auserwählt werden. Ein tragischer Ueberfall ehemaliger Schüler einer Sai-Baba-Schule auf den Meister, der damit endete, dass die aufgebrachte Masse der Gläubigen die Attentäter lynchte, führte schon 1993 bei kritikschen Beobachtern zu Diskussionen um Sai Babas Salbungsriten an jungen Männern und damit verbunden um seine homophilen Neigungen. In letzter Zeit sind Berichte von sexuellem Missbrauch an westlichen Fans und indischen Studenden der Sai-Baba-Kolleges zu einer derartig breiten Dokumentation der Erniedrigung ("Einem Gott darf ich doch nichts ausschlagen") und Enttäuschung ("Er kann nicht Gott sein, wenn er dies von mir verlangt") angewachsen, dass der westliche kritische Beobachter sich frägt, warum denn Sai Baba nicht schon lange von indischen Gerichten verurteilt wurde. Während es bisher dem Management um Sai Baba auf weiten Strecken gelang, manche Enttäuschte und Missbrauchte mit irgendwelchen Mitteln zum Schweigen zu bringen, beginnen sich nun offenkundig die Enttäuschten und Missbrauchten zu organiseren. Trotz ihrer schweren Anklagen glauben Zenhntausende aber immer noch an die Göttlichkeit ihres Meisters, an seine übermenschlich-göttlichen Qualitäten und an seine Wunder, die sie mit den Wundern Jesu vergleichen, des Jesus, als dessen Wiederkunft Sai Baba bei vielen Jüngern gilt. Christen lehnen diesen Vergleich ab. Die Wunder Jesu erinnern nicht im enttferntesten an Zirkusnummern. Sai Baba tut Wunder beinah zur Unterhaltung der Massen, Jesus zur Linderung von bedrängender Not. All diese Einwürfe bestreiten den Anspruch Sai Babas, die massgebliche göttliche Inkarnation unserer Zeit zu sein. Aber sie schmälern nicht den Eindruck, den auch kritische Beobachter in Puttaparthi gewinnen: Um Sai Baba schart sich immer noch ein Heer von idealistisch gesinnten und opferbereiten Menschen, die eigentlich sich nur eines wünschen: eine Begegnung mit Gott. Wie lange aber - fragen wir uns angesichts der vorliegenden Zeugnisse - wird es dauern, bis auch ihre Hoffnungen und Erwartungen unter der Last der Anklagen zusammenbrechen?
Georg Schmid, 2000
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